Mittwoch, 9. April 2014

Brevet heißt Prüfung

Der Grund aller Strapazen des Randonneurs ist die Bewältigung der Herausforderung. Schon die Distanzen der Brevets, geschweige denn die 1.200 Kilometer von Paris nach Brest und zurück, sind für den Unbewandelten nur schwer vorstellbar. Dem erfahrenen Randonneur mag es gelingen, die Herausforderung psychisch zu reduzieren. Dennoch wirbelt das Element des Unbekannten manche akzeptierte Herausforderung durcheinander.

Nun bin ich gegenüber Langdistanzen nicht mehr ganz unbedarft, darin jedoch noch lange nicht erfahren. Nach dem Herantasten vom anstrengenden 200 über die erstaunliche Leichtfüßigkeit der 300 bis zur Grenzerfahrung der 400 Kilometer im letzten Jahr starte ich mit Freude in diese Saison. Nicht länger ist meine größte Angst, keine Gruppe zu finden und alleine durch die Landschaft zu radeln.

So soll es dann auch kommen. Beim Start bin ich nicht aufgeregt und fahre locker los. Am großen Anstieg über den Wagensteig hoch in den Schwarzwald lasse ich es langsam angehen, so dass ich alleine oben ankomme. Hinter mir weiß ich weitere Fahrer. Der Schwarzwald zeigt mir gleich, welch Gewalt er im April noch erzeugen kann. Es ist dunkel, neblig, kalt und nass. Kommt die Nässe zunächst nur von der Straße, setzt dann bei der ersten Abfahrt durch das Urachtal Nieselregen ein.

Am Talende ist die erste Kontrollstelle. Ich lasse stempeln und ziehe mich an. Regenkleidung habe ich nicht dabei, nur eine Windweste. Diese hält den leichten Niesel ab, an Armen und Beinen stört mich die Nässe nicht sonderlich. Nur die Füße: meine Schuhe sind schon nass.

Leicht besorgt ob der Wetteraussichten kurbele ich mit einem weiteren Randonneur das ruhige Sträßchen des Linachtals hinauf. Schauer war erst für den Nachmittag angesagt - nun gut, der Schwarzwald macht was er will. Vielleicht sieht es in der Rheinebene wieder besser aus.

Bis dahin folgen aber erst gut 40 Kilometer Abfahrt. Alleine sause ich die nassen Serpentinen herunter. Mein Körper ist vom Fahren warm, aber die nasskalten Füße bereiten mir Sorgen. Wenn es unten nicht wärmer wird, könnten die Füße heute das Ankommen gefährden.

Als ich zur mittäglichen Kontrollstelle in Endingen am Kaiserstuhl ankomme, ist es schon fast 15 Uhr - beinahe sechs Stunden für 120 Kilometer. Das habe ich wohl den Bergen, aber auch der Nässe zu verdanken. Nach einem viel zu fleischlastigen Lahmacun geht es wieder auf die Strecke, die ab hier 50 Kilometer durch die flache Rheinebene nach Süden verläuft. Die Temperaturen bewegen sich wie erhofft im zweistelligen Bereich, so dass mich meine nassen Füße nicht stören.

Aber die Rheinebene. Auch nach dem Essen fahre ich alleine los, und hier im Gegenwind würde ich so gerne in einer netten Gruppe kreiseln. Zum Wind gibt es den heute schon vertrauten Nieselregen. So ziehe ich mich die schnurgerade Straße entlang und überlege, ob ich Spaß habe. Die Antwort lautet weder Ja noch Nein. Kurz vor dem südlichen Wendepunkt der Strecke laufe ich auf zwei Räder auf, eine Frau und einen Mann. Sie sehen ähnlich gequält aus wie ich. Wir strolchen ein wenig zusammen herum, bis wir von einer Vierergruppe überholt werden. Da hängen wir uns jetzt ran, dann hat die Ebene bald ein Ende.

Hinter der Kontrollstelle in Auggen drehen wir nach Osten, hinein in die Wellen und Rampen des Markgräflerlands. Letztere kenne ich aus Jugendtagen, an denen ich hier mit dem Rad runtergerast bin. Ich kann mich nicht erinnern, sie schon einmal hoch gefahren zu sein. Diese Bekanntschaft steht nun also an. Bei der ersten Rampe lasse ich die Gruppe schon wieder ziehen. Meine Knie machen sich bemerkbar; diese hatten mich noch nie beim Radfahren gestört. Vielleicht die nasse Kälte?

Die Dame und ich drücken uns über die Hügel. An den Bergen ist sie jetzt schneller als ich, dafür verhelfe ich ihr auf den Abfahrten und Flachstellen zu mehr Geschwindigkeit. Ab Badenweiler kenne ich die Strecke bis Freiburg im Schlaf, und mit diesem psychologischen Rückenwind kommen wir schnell zum Ziel.

213 Kilometer liegen hinter mir, den Großteil davon bin ich alleine gefahren. Ab dem Eintauchen in den Schwarzwald hat es den ganzen Tag genieselt. Mal schwächer und mal heftiger. Obwohl ich versucht habe, meine Pausen kurz zu halten, bin ich nicht schneller unterwegs gewesen als im letzten Jahr. Die "Kurzstrecke" der Randonneure ist eben auch schon eine Herausforderung. Zumal auf einer steigungsreichen Strecke mit über 2.500 Höhenmetern.

Die eigentliche Prüfung des Tages aber war für mich das Wetter. Das französische Wort "Brevet" bedeutet ja übersetzt auch Diplom.

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